Kabbala: Was bedeutet ein rotes Armband am Handgelenk

Zunächst einmal soll an dieser Stelle eines geklärt werden: Ein auf bestimmte weise geknoteter roter Wollfaden am Handgelenk weist keineswegs nur auf die Anhänger der jüdischen Kabbala hin. Ein rotes Wollbändchen mit drei mittig sitzenden Knoten wird auch von manchen Buddhisten getragen. Es gilt als Zeichen einer erlebten Initiation oder wird als von einem buddhistischen Lama gesegnetes Bändchen getragen, um spirituelle Kraft zu vermitteln.

Im Hinduismus werden unverheiratete Mädchen durch ein rotes Band als heiratsfähig gekennzeichnet. Dieses rote Band wird aber am rechten Handgelenk getragen. Selbst im Christentum trugen Menschen manchmal rote Bänder, um sich durch dieses Symbol Wohlstand und Glück zu sichern.

Hier soll es jedoch nur um das geflochtene rote Wollbändchen gehen, das von ernsthaften oder esoterischen Anhängern der jüdischen Kabbala getragen wird. Das rote Wollbändchen gilt als Schutz vor dem Bösen. Es fiel in neuerer Zeit vor allem am Handgelenk zahlreicher prominenter Hollywood-Stars auf. dass dies nicht ein Zeichen ernsthafter religiöser Betätigung anzusehen ist, sondern als etwas anderes, wird im folgenden Artikel näher erklärt.

WAS IST ÜBERHAUPT DIE KABBALA?

Dass Superstars wie Elizabeth Taylor, Britney Spears, Madonna, Paris Hilton, Demi Moore, Mick Jagger, die Beckhams oder Stella McCartney sich als Anhänger der Kabbala outen, ist interessant – zumal keiner von ihnen jüdischen Glaubens ist. Das ist allerdings für diesen eher unseriösen kabbalistischen Strang auch keine Bedingung. Was diese Hollywood-Superstars anzieht, ist vielmehr eine stark verwässerte Richtung der jüdischen Kabbala, die als Sekte mit stark umstrittenen Praktiken im Fokus der Kritik steht. Begründet wurde dieser pseudo-esoterische Zweig der Kabbala von einem ehemaligen Versicherungsvertreter namens Philip Berg. Dazu weiter unten mehr.

Die ursprüngliche jüdische Kabbala versteht sich als die mystische oder spirituelle Seite des Judentums. Eigentlich gehören die Kabbalisten dem ernsthaften Judentum gar nicht direkt, sondern nur indirekt an. Sie nennen sich die Mystiker des Judentums. Die Kabbala befasst sich mit den existenziellen Fragen des Lebens. Im Kern geht es den Kabbalisten um die mystische Beziehung des Einzelnen zu Gott. Die Suche nach individuellen Erfahrungen, die als unmittelbare Gotteserfahrung gewertet werden können, ist einer der Inhalte des ernsthaften kabbalistischen Strebens.

Zwar liegen die Wurzeln der Kabbala in der „Tanach“ genannten Heiligen Schrift des Judentums. Dennoch kann man nicht daraus schließen, dass dieser Bezug notgedrungen etwas mit der jüdischen Religion zu tun hat. Die kabbalistischen Lehren beziehen sich vielmehr auf den „Zohar“, der bereits aus dem 13. Jahrhundert stammt. Solche schwer verständlichen Schriften werden von ernsthaft die Kabbala studierenden Chassidim gelesen und diskutiert.

VERSCHIEDENE KABBALA-SCHULEN UND DIE HOLLYWOOD-KABBALA

Die existierenden kabbalistischen Traditionen innerhalb des Judentums stellen kein einheitliches Glaubens-System dar. Sie beruhen vielmehr auf diversen mündlich tradierten Lehren und verschiedenen schriftlichen Überlieferungen. Verschiedene kabbalistische Schulen legen diese Schriften unterschiedlich, teils sogar gegensätzlich aus. Dass die Kabbala auch nicht-jüdische Anhänger hat, ist keineswegs ein neueres Phänomen. Bereits seit dem 15. Jahrhundert schlossen sich auch Christen der jüdischen Kabbala an. Spätestens seit den Sechziger- und Siebzigerjahren stehen bestimmte kabbalistische Kreise – entgegen aller Tradition – auch Frauen und Nicht-Juden offen. Um die ernsthaften jüdischen Kabbalisten von den umstrittenen esoterischen Kabbalisten zu unterscheiden, werden diese in unserem nachfolgenden Text als Neo-Kabbalisten bezeichnet.

Heute spricht man sogar von einer „Hollywood-Kabbala“. Namhafte Stars in Hollywood haben durch die stark verwässerte New Age-Version der Kabbala vielen kabbalistischen Inhalten eine neue, unter Juden sehr umstrittene Bedeutung verliehen. Die im Original jüdische Kabbala-Tradition unterscheidet sich davon beträchtlich. Sie wird heutzutage nur noch von den Chassidim Israels und den amerikanischen Juden gepflegt. Mit Rabbi Ashlag ist der bedeutendste ernsthafte Kabbalist des vergangenen Jahrhunderts benannt.

WAS HAT ES MIT DEM ROTEN ARMBAND AUF SICH?

Eine breite Aufmerksamkeit war dem roten Armband der Neo-Kabbalisten in der Presse sicher, als immer mehr Hollywood-Stars damit gesichtet wurden. Tatsächlich wurde das Kabbala-Armband schon seit vielen Generationen in der jüdischen Gemeinde verwendet – und zwar ohne dass sich jemand von der Presse dafür interessiert hätte. Gemäß seriöser kabbalistischer Glaubensinhalte soll dieser rote Wollfaden vor dem bösen Blick oder negativen Schwingungen schützen, die einen von außen bedrohen.

Es handelt sich bei dem roten Faden um einen ganz besonderen Faden. Er besteht aus rot gefärbter Wolle und ist nur echt mit einem Zertifikat. Dieses Zertifikat bestätigt, dass der rote Faden von einem längeren Wollfaden abgetrennt wurde, der angeblich zuvor nach altem jüdischem Brauch sieben Mal um ein den Sarg oder das Grab der biblischen Matriarchin Rachel gewickelt wurde. Danach wurde er von einem Neo-Kabbalisten gesegnet. So wird es bereits seit Jahrhunderten gehalten. Nach kabbalistischer Lehre werden die Eigenschaften dieser besonderen Frau, die im diesem Grab liegt, auf den übertragen, der das rote Band am linken Handgelenk trägt. Das Band erinnert den Träger daran, dass er Gutes tun soll. Es besitzt aber auch die aktive Kraft, Böses abzuwehren, sagt man.

DIE SPIRITUELLE KRAFT DES ROTEN FADENS

Das Tragen des Kabbala-Armbandes am linken Handgelenk wird damit erklärt, dass die Juden der linken Körperseite einen besonderen Bezug zum Herzen und zur Seele zusprechen. Hier lebt dem kabbalistischen Glauben nach einerseits der göttliche Funke, der in jedem Menschen zu finden ist. Andererseits ist hier aber auch eine besondere Empfänglichkeit gegeben, die sowohl positive, als auch negative Impulse betrifft. Das Kabbala-Armband hat der Überlieferung nach eine sehr kraftvolle Ausstrahlung. Es kann den Träger aktiv vor bösen Einflüssen schützen und dadurch das positive Potenzial des Trägers stärken. Dem roten Faden am linken Handgelenk wird eine nachhaltige Wirkung auf den Erfolg, das Harmoniestreben und das Streben nach innerem Frieden sowie ein Hang zur Nächstenliebe zugeschrieben. Er gilt als machtvoller Unterstützer beim Streben nach Wahrhaftigkeit und positiven Lebenshaltungen.

Doch klar ist auch: ein Kabbala-Armband zu tragen, zieht keinen Automatismus nach sich. Der seriöse Träger des roten Wollfadens sollte sich schon mit den spirituellen Inhalten der Kabbala auseinandersetzen. Er sollte sich dem Gebet widmen und durch moralisches Verhalten, Wohltätigkeit und Gebefreudigkeit auffallen. Typisch ist, dass ein Kabbala-Armband nur achtundzwanzig Tage oder sieben Wochen lang getragen und dann gegen ein neues Wollfädchen getauscht wird. Prinzipiell darf jeder, der es möchte oder schutzbedürftig ist, sich einen speziell gewickelten roten Kabbala-Faden zulegen. Er darf sich dann auf einen aktiven Schutz verlassen. Es wird jedoch auch von einem seriösen Kabbalisten erwartet, dass er sich mit den Inhalten der kabbalistischen Weltanschauung und dem jüdischen Glauben beschäftigt. Ohne ein Zertifikat ist das Kabbala-Armband wirkungslos.

WIE IST DIE WIRKUNG DES KABBALA-ARMBANDS EINZUSCHÄTZEN?

Wer an die Wirkung des Kabbala-Schutzarmbands glaubt, wird sie gemäß der seriösen kabbalistischen Traditionen auch erfahren – insbesondere, wenn er sich durch die Beschäftigung mit den existenziellen Fragen des Menschseins und seine Gottsuche spirituell auflädt und ein besserer Mensch wird. Andere meinen, dieser Talisman sei nichts als Geschäftemacherei. Profitieren könne nur derjenige, der die Kabbala-Armbänder massenweise für teures Geld verkauft.

Sei es, wie es sei. Die traditionellen und die esoterischen Kabbala-Traditionen erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit – und das Armband mit ihnen. In Hollywood gilt das Tragen gar als ein Symbol für die Zugehörigkeit zu elitären Kreisen. Die neo-kabbalistische Gemeinde wächst, wenn man nach den Trägern des Armbands geht – aber es sind Zweifel angebracht, ob jeder Träger sich tatsächlich mit den Inhalten des Judentums auseinandersetzt. Vermutlich ist es eher eine Modeerscheinung statt eine spirituelle Lebenshaltung. Lediglich von Popstar Madonna weiß man sicher, dass sie sich auch mit kabbalistischen Inhalten beschäftigt. Wie ernsthaft diese Beschäftigung ist, sei einmal dahingestellt. Da sie sich der neo-kabbalistischen Richtung verpflichtet fühlt, ist Madonna vermutlich weniger an einer ernsthaften Auseiandersetzung mit jüdischen Glaubensinhalten interessiert.

NEUE MODERELIGION – ODER PSEUDO-ESOTERISCHER INHALT?

Dass ausgerechnet ein roter Faden einen Kabbalisten erkennen lässt, ist kein Zufall und keine modische Erscheinung neuerer Tage. Tatsächlich wird ein karmesinroter Faden bereits im Buch Jehoschua genannt. Dieser Faden sollte als Kennzeichen für die Anwesenheit Gläubiger aus dem Fenster gehängt werden, als die Stadt Jericho eingenommen werden sollte. Teilweise wird das rote Band heute auch an Touristen verschenkt. Zumindest in Hollywood ist die Kabbala nichts weiter als ein Hype, der immer mehr Menschen erfasst. Popstar Madonna betätigte sich eine Zeitlang als „Celebrity Recruiting Seargent“. Sie warb aktiv und offensiv um Mitlieder für das amerikanische „Kabbalah Center“. Manche der prominenten Angeworbenen kehren dem Kabbalah-Center mittlerweile wieder den Rücken.

Wenn einer wie Mick Jagger ein Charity-Dinner für den Religionsstifter dieser pseudo-jüdischen Esoterik-Organisation organisiert, hört die Welt hin. Gute Presse gibt es allemal. Bei Licht besehen ist das weltweit agierende „Kabbalah Center“ längst eine sehr solvente Organisation, die auf fünf Kontinenten vertreten ist. Der Begründer der esoterischen Kabbala, der heute viele Hollywoodstars zugeneigt sind, ist ein ehemaliger Versicherungsvertreter. Er residiert heute in einer Villa in Beverly Hills und ist mehrere Millionen schwer.

Zwar studierte der gute Mann beim seriösen israelischen Kabbala-Gelehrten Rabbi Yehuda Brandwein. Dennoch entschied sich Philip Berg, lieber eine verwässerte Variante der ursprünglichen Kabbala zu vertreten. Sein Anspruch, der legitime Nachfolger des ehrenwerten Rabbis zu sein, stößt auch deswegen nicht auf breite Akzeptanz. Man spricht unter Anhängern des jüdischen Glaubens sogar von einer „Vulgarisierung“ der Kabbala. Deren Studium war traditionell nur männlichen Juden vorbehalten. Philip Berg vertritt allerdings unter anderem die These, die schwierigen aramäischen Kabbala-Texte müsse man weder lesen noch verstehen, sondern es genüge, ihre Energie auf sich wirken zu lassen. Neo-Kabbalisten verstehen folglich eher nichts von den tradierten kabbalistischen Inhalten.

ROTE BÄNDCHEN UND ANDERE VERDIENSTQUELLEN

Eher zweifelshaft sind auch die angebotenen Seminare in einem beliebigen „Kabbala Center“. Im Londoner Center-Ableger werden beispielsweise Abend-Kurse zur Krebsverhinderung, zur Wohlstandsbildung oder zum Finden eines Liebespartners angeboten – gegen eine satte Kursgebühr. Kabbala-Quellwasser, Kabbala-Gesichtswasser oder rote Bändchen werden für teures Geld angeboten. Ein Bändchen mit Zertifikat kostet 27 Euro.

Insofern ist zu hinterfragen, ob hier mit dem Glauben an einen tieferen Sinn Schindluder betrieben wird. Es ist sicher kein Zufall, dass das Kabbala-Center in Los Angeles in einem einzigen Jahr 23 Millionen Dollar an Einnahmen verbuchen konnte. Das umstrittene „Kabbalah Center“ wird von orthodoxen jüdischen Institutionen mittlerweile als sektiererische Abspaltung mit unübersehbarem Gewinnstreben und erheblichem Expansionsdrang betrachtet. Es ist daher eine gute Frage, ob rote Bändchen einen tatsächlich zu einem besseren Menschen machen können – oder nur zu einem ärmeren.